Überlebt in Albanien
22.10.2018 – 02.11.2018
Über kein anderes Land auf unserer bisherigen Reise haben wir soviel Schauergeschichten gehört wie über Albanien – zumindest von all denjenigen, die noch nie dort gewesen sind. Der Stempel „gefährlich“ haftet dem Land irgendwie an. Bestärkt, das Land nicht nur im Transit zu durchqueren, wurden wir durch jene, die Albanien bereits bereist haben. Wie so oft hilft es nur, sich ein eigenes Bild zu machen – los geht´s:
Der Grenzübertritt aus Montenegro verläuft sehr entspannt und so sind wir nach wenigen Minuten bereits eingereist. Wir fahren vor die Tore der Stadt Shkodra auf einen Campingplatz. Die sehr nette Betreiberin begrüßt uns überaus freundlich und wir fühlen uns mehr als willkommen. Später schwingen wir uns auf unsere „Babyräder“ und radeln in die Innenstadt. Radweg gibt es keinen, obwohl deutlich mehr Radfahrer unterwegs sind als noch in Kroatien oder Montenegro. Und so zirkeln wir hindurch zwischen Autos, Motorrädern, Fußgängern, Hunden, Kühen, jeder Menge Müll und sind uns schnell einig: Überfahren wirst Du hier nur aus Versehen, niemals absichtlich …
In der City steuern wir zunächst einen Vodafone-Shop an um uns für die nächste Zeit mit Internet zu versorgen. Da wir uns ausserhalb der EU befinden, können wir unser aus Deutschland mitgebrachtes Netz nur zu horrenden Preisen nutzen. Im Laden werden wir super nett in Englisch beraten und dank der Übersetzungshilfe zweier Mädels auf dem Campingplatz bekommen wir die Karte später auch schnell eingerichtet und alles funktioniert tadellos. By the way: wir werden im ganzen (!) Land 4G-Internet haben.
Als wir abends im Restaurant des Campingplatzes einkehren und sehr lecker und sehr günstig essen, reden wir noch lange über unsere ersten Eindrücke des heutigen Stadtbesuchs. In Shkodra sehen wir zum ersten Mal die große Schere zwischen arm und reich, die wir auch im übrigen Albanien vorfinden werden: ein alter Mann und ein Hund wühlen im Müllcontainer nach etwas Essbaren, daneben parkt ein junger Typ seinen nagelneuen Audi Q7. Es gibt eine Art Fußgängerzone mit hippen Cafes und Restaurants, eine Straße weiter verfallen die Gebäude und es stinkt erbärmlich nach Müll. Die Plätze vor der Franziskanerkirche und der von Saudi-Arabien finanzierten Moschee Ebu Bekir sind blitzblank gefeudelt, der Rest der Stadt erstickt im Dreck. Was sollen wir davon halten? Wir sind gespannt auf die nächsten Tage.
Nach einer ruhigen Nacht fahren wir weiter zum Shkopet-Stausee und zum Durchbruch des Mat und bekommen ein erstes Gefühl für die Schönheit der Natur und den Zustand der Straßen. Der türkisfarbene Mat schlängelt sich über viele Kilometer aus den Bergen in die Ebene, wo er schließlich mit dem Fan zusammenfließt und ein ca 1,5 Kilometer breites Delta aus Kies und Geröll bildet. Schon etwas müde vom Gekurve und Geschüttel fahren wir noch weiter nach Kruja. Von der dortigen Burganlage sind nach der Eroberung durch die Osmanen nur noch der Wehrturm und einige Mauerstücke übrig geblieben. Die alte, traditionelle Basargasse wurde touristengerecht aufgehübscht. Das alles muss man nicht wirklich sehen. Das Angebot des netten Restaurantbesitzers, oben auf der Burg in seinem Vorgarten zu übernachten, müssen wir leider ausschlagen, wir haben halt keinen Eselkarren. So entscheiden wir uns, noch einige Kilometer weiter in Richtung Tirana zu fahren. Wir haben von einem schönen Campingplatz auf dem Land gelesen. Die große, gut asphaltierte Straße Richtung Flughafen, die wir eigentlich nehmen wollen, ist aufgrund einer Baustelle gesperrt und so folgen wir, etwas blauäugig, der vom Navi vorgeschlagenen Umfahrung. Anfangs sieht die Straße auch gut aus, zwar etwas schmal für den regen Umleitungsverkehr in beide Richtungen , dafür aber schnurgerade. Leider hört nach 2 Kilometern der Asphalt auf und es folgt eine schlechte Piste. Auch noch ok, denken wir. Hinter einer Kurve befinden wir uns allerdings plötzlich auf einer tief ausgewaschenen, eigentlich einspurigen Schlaglochpiste und zu allem Überfluss müssen wir noch über eine nicht sehr hohe, dafür aber schmale Betonbrücke über ein Bachbett. Leider ist die Auffahrt zu Brücke mit einer verdammt engen Kurve versehen. Also springt Michaela raus und dirigiert Peter und den Dicken Zentimeter für Zentimeter in die richtige Position, um die Brücke zu überqueren ohne seitlich herunterzukippen. Glücklicherweise ertragen die restlichen Autofahrer unser Manöver völlig geduldig und klaglos. Als wir endlich den Flughafen erreichen und damit wieder „festen Boden“ unter dem Laster, ignorieren wir das LKW-Verbotsschild. Wo sollen wir denn sonst auch hin? Der Polizist, der uns ein paar Kilometer danach rauswinkt, sieht das nicht so. Leider kann er uns unseren Verstoß nicht erklären (oder wollen wir ihn nicht verstehen?) und er winkt uns weiter. Erst als es schon dunkel ist, erreichen wir den Campingplatz. Zum krönenden Abschluss steht die Oma des Platzes mit zwei Wassergläsern selbstgebranntem Raki vor unserer Türe. Die geben uns an diesem aufregenden Tag dann endgültig den Rest.
Für unseren Besuch von Tirana haben wir uns einen Stellplatz bei einem Hotel nahe der Innenstadt herausgesucht. Aufgrund der wenigen Plätze die dort zur Verfügung stehen und eines Torbogens, durch den wir passen müssen, sind wir etwas unsicher. Aber kein Problem, denn die sehr nette Campingplatzbetreiberin klärt für uns alles Notwendige. Zudem gibt sie uns noch viele Tipps für unseren Besuch der Hauptstadt. Also machen wir uns auf den Weg nach Tirana, finden unseren Weg auch im Gewusel des Verkehrs rund um den Busbahnhof (dies allerdings nicht ohne uns mit unserem Nebelhorn mehrfach Respekt verschaffen zu müssen) und parkieren den Dicken auf den Parkplatz vorm Hotel Baron. Auch dort werden wir sehr nett empfangen und mit allen wichtigen Infos versorgt. Mit dem öffentlichen Bus fahren wir in die recht überschaubare Innenstadt und laufen alle Highlights ab. Das sind in Tirana nicht viele und zudem ist die Stadt keine Schönheit. Dafür begeistert uns das Leben auf den Straßen. Sehr viele junge Leute, viele einladende Bars und Restaurants, ältere Herren spielen Domino und herausgeputzte Damen flanieren über den Skanderbeg-Platz. Zum Sundowner setzen wir uns in die Sky-Bar. Im 18. Stock eines Hochhauses beobachten wir die Lichtspiele der untergehenden Sonne und des aufgehenden Mondes. In der kommunistischen Diktatur war Blloku ein abgeriegeltes, vom Militär bewachtes, schickes Wohnviertel, indem die Privatvilla Enver Hoxhas und anderer Politbüro-Mitglieder lagen. Heute ist Blloku ein quirliges Stadtviertel, wo wir hervorragend zu Abend essen. Für uns ungewohnt spät kommen wir zum Dicken zurück und fallen ob der vielen neuen Eindrücke erschöpft ins Bett.
Am nächsten Morgen unterhalten wir uns noch lange mit dem Juniorchef des Hotels. Er lebt 6 Monate im Jahr in Deutschland, wo er auch studiert hat und hilft gelegentlich seinen Eltern. Von ihm bekommen wir einige erhellende Informationen zur politischen Situation in Albanien und dem Phänomen der jungen Männer mit den dicken Schlitten: Günstlinge des Systems aus Korruption und Mafia. Auch berichtet er von mangelnder Rechtssicherheit und einem undurchsichtigen bürokratischen Dickicht, das viele Investoren aus dem In- und Ausland abschreckt. Das erklärt uns so manches.
Über Elbasan fahren wir anschließend an den Ohridsee. Nach dem Baikal in Russland der älteste See der Welt. Die sehr graue Stadt Pogradec lassen wir links liegen und suchen uns ein Plätzchen am südlichen Ufer, kurz vor der Grenze zu Mazedonien. Eben diese Grenze passieren wir am nächsten Tag mit unseren Klappgeschossen – das Kloster Sveti Naum ist unser Ziel. Den dritten Grenzübergang in 2 Wochen meistern wir schon ganz routiniert und sind wieder mal dankbar für den Schengenraum. Das Kloster selbst ist nett anzuschauen, leider durch einen Brand nicht mehr Original erhalten und nach 1870 neu aufgebaut. Ein sehr freundlicher Mönch erklärt uns in einem deutsch-englisch Mischmasch einige interessante Details, so auch dass man den Herzschlag des Heiligen Naum durch den Steinsarkophag spüren kann – wir haben es nicht ausprobiert.
Wir radeln zurück, nutzen ausgiebig die Waschmaschine und brechen auf zu einer Fahrt entlang des Ostens Albaniens. Die Straße bis nach Korça ist noch sehr gut zu fahren und wir parken den Dicken in einer Seitenstraße. Wir schlendern durch die französisch angehauchte Stadt, kaufen superleckeres Brot auf dem Markt, trinken mit vielen anderen einen Cappuccino auf dem neuen Basar. Nach diesem kleinen Päuschen geht’s allerdings ans Eingemachte – für die folgenden 70 Kilometer brauchen wir fast 4 Stunden. Die Straße ist nur mehr einspurig, der Asphalt an vielen Stellen nicht mehr vorhanden und wir versuchen uns im Schlaglochslalom. Die grandiose Natur und die nur dünn besiedelte Gegend entschädigt aber für alles. Der Esel ist hier noch ein weit verbreitetes Arbeitstier und wir sehen viele Hirten mit ihren kleinen Schaf- oder Ziegenherden. Da wir ja sehr langsam unterwegs sind, ist immer Zeit für ein freundliches Winken. Für die Nacht stellen wir uns auf den Stellplatz der „Farma Sortira“, ein Bauern- und Forellenhof mit Gästebungalows und Restaurant. Das Abendessen ist einfach, aber sehr lecker und günstig. Die Gastfreundschaft der Albaner begeistert uns, wie bereits in den vergangenen Tagen und wir fühlen uns sehr wohl inmitten der Einheimischen. Ein Raki aufs Haus darf zum Abschluss natürlich wieder nicht fehlen und dieser hat nochmal mehr Umdrehungen als die Aufmerksamkeiten der vergangenen Tage.
Wir fahren weiter bis kurz vor die griechische Grenze, biegen aber wieder ab nach Norden und beenden unsere holprige Fahrt an den Thermalquellen Banjo e Bënjes. Das stark schwefelhaltige Wasser der Lengarica wird hier in Becken gestaut. Wir überqueren die Ura e Katiut, eine wunderschöne Steinbrücke aus osmanischer Zeit, um im größten Basin zu schwimmen. Das Wasser ist je nach Jahreszeit nur lauwarm oder heiß. Wir haben Glück und können uns bei angenehmer Wassertemperatur (und zugehaltener Nase) treiben lassen. Der Lengarica hat hier zudem einen spannenden Canyon geformt, in den wir ein Stück hineinwandern können, eh uns zäher, grauer Schlamm zum Umkehren bringt. An den Quellen verbringen wir auch die Nacht und fahren anschließend weiter in Richtung Gjirokastër. Je näher wir allerdings den wieder dichter besiedelten Gebieten kommen, desto mehr verschärft sich auch wieder das Müllproblem. Trauriger Höhepunkt sind die mit Plastiktüten verhangenen Bäume in der Këlcyre-Schlucht. Da blutet einem fast das Herz.
In Gjirokastër besuchen wir die Zitadelle und genießen den genialen Ausblick über die Stadt mit ihren Hunderten einmalig erhaltenen Wehrturmhäusern aus Stein. Wir merken am Verfall der Häuser, dass die Erhaltung der alten osmanischen Bauwerke wohl eine große Herausforderung darstellt. Die Besitzer können sich die Instandhaltung und Renovierung unter den strengen Denkmalschutzauflagen kaum leisten, die Zuschüsse des Staates sind überschaubar. Und die albanische Bevölkerung plagen zudem andere Sorgen… so sind viele Häuser verwaist und dem Verfall preisgegeben. Wir verbringen eine erstaunlich ruhige Nacht auf einem Parkplatz in der Innenstadt und entscheiden uns am nächsten Tag für einen Besuch der Ausgrabungsstätte Appolonia. Auf der Etappe dorthin bekommen wir die Ausläufer der Unwetter über Italien zu spüren. Hunderte Blitze und sintflutartiger Regen zwingen uns zu einer sehr langsamen Fahrt. Am Nachmittag ist der Spuk allerdings schon wieder vorbei und wir erkunden die ehemalige griechische Kolonie aus den Jahren 585 v. Chr. Erst 229 v. Chr. fiel Appolonia an die Römer und wurde zu einem bedeutenden kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum ausgebaut. Octavian, der spätere Kaiser Augustus, hat hier studiert. Am Abend werden wir von den Sicherheitskräften (gegen die Zahlung eines kleinen Obulus) eingeladen, auf dem Gelände zu übernachten. Der Parkplatz vor dem Eingang sei nicht „gut“ und nachts von kiffenden Jugendlichen (?) frequentiert. Erst sträuben wir uns etwas gegen die Geldmacherei, entscheiden uns aber schlussendlich dafür die Einladung anzunehmen. Wer soll es den Einheimischen verübeln, sich etwas dazuzuverdienen und das Plätzchen im Garten ist nicht das Schlechteste.
Über Vlora geht es für uns weiter, immer an der Rivieraküste entlang bis an den langen, zu dieser Zeit verlassenen Strand von Livadh. Bei der Fahrt über den Llogarapass können wir die sonst wohl spektakulären Ausblicke aufs Meer nicht genießen. Das Wetter ist trüb und nebelig. Auf dem noch geöffneten Campingplatz bleiben wir zwei Tage.
Das kulturelle Highlight für uns in Albanien sind die Ausgrabungen von Butrint. Die archäologische Stätte ist spektakulär und wir stauen nicht schlecht über den Zustand der einzelnen Bauwerke. Auch bei den Schautafeln hat man sich sehr viel Mühe gegeben und so tauchen wir ein in den Ort der seit mindestens 20.000 Jahren besiedelt ist und in der Zeit von 1928 bis 1936 ausgegraben wurde.
Den letzten Stop legen wir ein am Syri i Kaltër, auch genannt Blue Eye, einer Karstquelle die zu den bekanntesten touristischen Attraktionen Albaniens zählt. Wir zahlen einen kleinen Eintrittspreis und quälen den Dicken über eine furchtbar schlechte Piste die 2 Kilometer bis zu einem Parkplatz. Und dann denken wir, wir sehen nicht richtig. Es sieht hier aus, als wäre vor kurzem ein Tornado durch die Landschaft gefegt. Im Reiseführer haben wir gelesen, dass es 2 Restaurants und mehrere Souvenirbuden geben soll. Von diesen sind allerdings nur noch Schuttberge übriggeblieben. Warum diese abgerissen wurden und wer dafür verantwortlich ist, finden wir nicht heraus. Wir sind nur entsetzt dass das grandiose Naturschauspiel so verunstaltet wird, denn dass der Dreck bald verschwindet und auch sonst um die Quelle mal aufgeräumt wird, daran glauben wir leider nicht.
Unser kleines Fazit nach zwei Wochen in Albanien:
- Die Menschen, denen wir begegnen durften waren zu uns extrem (gast-)freundlich, die Albaner sind das freundlichste Volk auf unserer bisherigen Reise.
- Wir haben uns immer sicher gefühlt.
- Albanien besitzt eine grandiose Natur – Berge, Schluchten, Wildwasserflüsse, Thermalquellen, tolle Küstenabschnitte und alles zu einem großen Teil unerschlossen.
- Wir waren öfter Essen als sonst auf unserer Reise – kein Wunder, wir haben immer sehr gut und verdammt günstig gegessen. Zudem ist vieles Bio – von der Weide und dem Feld direkt auf den Tisch.
- Die Schere zwischen arm und reich haben wir noch nirgends so deutlich erlebt wie hier, über den Müll und die Verwahrlosung konnten wir nicht immer und irgendwann gar nicht mehr hinwegsehen.
- Schade, dass das grandiose Potential dieses Landes nicht zum Wohle seiner überaus freundlichen Menschen genutzt wird!
Hallo Ihr Zwei,
das hatte ich doch vergessen Euch zu schreiben, dass es dort schlechte Strassen gibt und man nur mit Hupen herumkommt. 🙂 🙂
Aber das ist ja für Euren „Dicken“ kein Problem, er wurde doch dafür gebaut !! 😉
Viel Spaß Euch noch weiterhin und weiterhin tolle Eindrücke !
Lieber Claus, die Hupe haben wir tatsächlich oft genutzt. Im Vergleich zu den Einheimischen gehen wir diesbezüglich aber trotzdem gnadenlos unter 🙂
Viele Grüße in die alte Heimat und viel Spaß beim Winterweinfest in Birkweiler! MuP
Da sieht man mal was man vom Hörensagen halten kann. Nur wenn man es selbst erlebt hat, weiß man wie es wirklich ist. Weiterhin viel Spass und alles Gute.
Wenn wir euren Bericht lesen, fahren wir gedanklich und bildlich mit. Wir finden Albanien auch sehr interessant. Ihr habt aber schon mehr erlebt als wir – beneidenswert! Wir freuen uns auf den nächsten Reisebericht. Alles Gute von uns
Wieder mal ein toller Bericht ?
Wenn man ihn liest, ist es fast so, als wäre man direkt dabei ☺️
Dickes Bussal vom Schwesterlein aus weiter Ferne ?